Was wäre gewesen, wenn? Warum wurde von wem so und nicht so entschieden?
Manche Passagen lassen sich durchaus überfliegen. Zwar führt Ian Kershaw zu Beginn des Buches sämtlichen handelnden Personen auf. Und auf Seite 611 existiert auch eine Liste der zur Zeit des Zweiten Weltkrieges gebräuchlichen Abkürzungen. Sich das alles einzuprägen wird aber nur für Historiker im eigentlichen Sinne von Nöten sein.
Der an den Entwicklungen und (Fehl-) Entscheidungen, die sich während des Zweiten Weltkrieges interessierte ‚Laie‘ gewinnt völlig neue Erkenntnisse, warum welcher Entscheidungsträger in den im WK II involvierten Staaten so und nicht anders agiert hat. Obwohl es durchaus Alternativen gegeben hätte.
Um nur einige Beispiele zu nennen: der durch die Grossmannssucht Mussolinis ausgelöste Überfall Griechenlands durch das militärischen völlig unzureichend vorbereitete Italien. Dessen damaliger König und auch der Grossteil der Bevölkerung diesen Überfall und den Beitritt zu den so genannten Achsenmächten abgelehnt wurde.
Die Entscheidung des die Regierung beherrschenden japanischen Militärs, sich im Pazifik Richtung Süden bis hin nach Pearl Harbor auf Hawaii in knapp 4.000 Seemeilen Entfernung vorzuwagen.
Die für das sowjetische Militär katastrophalen ‚Säuberungsaktionen‘ Stalins. Erst durch diese und einige weitere Fehleinschätzungen Stalins war es der Wehrmacht möglich, bis auf 30 Kilometer Distanz vor die Stadtgrenzen Moskaus zu kommen.
Die Hartnäckigkeit von Winston Churchill, sich gegen alle möglichen Optionen, mit Nazi-Deutschland einen Waffenstillstand zu vereinbaren, zu verwehren.
Das äusserst geschickte Lavieren Roosevelts, durch seinen Beistand Groß-Britanniens gegen die Widerstände der US-amerikanischen Isolationisten zunächst einen ‚verdeckten‘ Krieg gegen Nazi-Deutschland zu führen. Der erst durch die Kriegserklärung Hitlers in einen offenen Krieg auf Seiten der Alliierten gegen Nazi-Deutschland führte.
Der schrittweisen Entwicklung innerhalb der NSDAP-Machthaber (Hitler, Himmler, Göhring, Goebbels, Heydrich, Frank und viele, viele weitere), die schlussendlich in der industriell organisierten Ermordung von geschätzt 6,5 Millionen Menschen jüdischen Glaubens, Roma, Homosexuellen, Kommunisten, Sozialisten und weiteren den Nazis missliebigen Menschen, eben dem Holocaust führte.
Obgleich ich aus Interesse wahrlich zahlreiche Bücher über das Dritte Reich gelesen habe, war mir beispielsweise neu, dass eine der Möglichkeiten, den vergleichsweise minimalen Anteil der Menschen jüdischen Glaubens gemessen an der Gesamtbevölkerung des Deutschen Reiches in die entferntesten Gegenden Sibiriens zu deportieren. Was die Niederwerfung der Sowjetunion voraus gesetzt hätte. Die zu unser aller heute Lebenden nicht nur durch die unvorstellbare Opferbereitschaft des sowjetischen Militärs, sondern auch der sowjetischen/russischen Bevölkerung und nicht zu Letzt durch die materielle Unterstützung der USA. So haben die USA der Sowjetunion für ihren Kampf gegen Nazi-Deutschland aus Richtung Osten nahezu 15.000 Flugzeuge, über 7.000 Panzer, 200.000 Lastkraftwagen, über 15 Millionen Paar Stiefel, aber auch über 4 Millionen Tonnen Lebensmittel geliefert.
Ganz am Ende des Buches sind einige Übersichtskarten abgedruckt. Die das Verständnis mancher Entwicklungen unterstützen. Dass der Autor auf insgesamt 80 Seiten jede Menge Anmerkungen mit Angaben der im Text erwähnten Fundstellen für Zitate und so weiter macht, dass auf weiteren 19 Seiten eine Bibliographie aufgeführt wird, versteht sich bei einem solchen Buch von selbst. Die Reproduktion einiger Original-Schwarz/Weiss-Fotos geben einen minimalen Eindruck der unvorstellbaren Vorgänge und auch einige der entscheidend handelnden Personen wider.
Ausnahmsweise wäre es auch möglich, zunächst die Schlussbetrachtungen Ian Kershaws zu lesen. Um gesteigertes Interesse an diesem Buch zu entwickeln.
Das Buch ist nicht nur den an den Fakten des Zweiten Weltkrieges interessierten Personen zu empfehlen. Sondern auch allen Ewig-Gestrigen, die dem Nationalismus, den ‚völkischen‘ und ‚vaterländischen‘ Ansichten nachhängen.