NSA – Nationales Sicherheits-Amt; Andreas Eschbach; Lübbe Verlag

Historische Fakten, kombiniert mit aktueller IT-Realität und was wäre wenn… – begeisternd!!

Worum es Andreas Eschbach auf den 794 Seiten geht, geht aus dem Text der Umschlagrückseite beziehungsweise dem Klappentext hervor. Unmengen von Daten werden zueinander in Beziehung gesetzt, Gesichtserkennung, (Mobil-) Telefonüberwachung, Kreditkartendaten, heimliches Mitlesen und Auswerten von E-Mails usw. Alles sehr gut und flüssig zu Lesen, alles sehr spannend. Vor allem auch bestens recherchiert. Der Autor zeichnet ein Bild, was die bereits vorhandenen, zum Teil unmittelbar breitflächig eingesetzten Möglichkeiten der Informationstechnologie (Stichwort „Künstliche Intelligenz“) in die Zeit der Nazi-Diktatur. Eben ‚was-wäre-wenn…‘.

Der Roman erzählt die Geschichte einer ‚Programmstrickerin‘ einschliesslich ihres familiären, privaten Hintergrundes (ihr Vater ist Mediziner und anerkannter ‚Rassenforscher‘), ihre Beziehung zu einem von der Front in Russland desertierten jungen Soldaten. Eine verhängnisvolle grosse Liebe. All das sinnvoll vermischt mit dem privaten und beruflichen Leben eines verqueren Sexphantasien auslebenden Datenanalysten im ‚Nationalen Sicherheits Amt‘, dem typischen Müttersöhnchen. Zahlreiche Mitläufer nicht nur in diesem Amt. Sondern auch Normal-Bürger, die sich von der Nazi-Propaganda blenden lassen. Viele in ihrer Biographie nur leicht veränderte SS-Angehörige treten auf. Alles in allem ein realistisches Bild der Gesellschaft der damaligen Zeit. Es wird ein nachvollziehbares Bild sowohl der überzeugten Nazi-Anhänger und -Mitläufer als auch der Nazi-Gegner gezeichnet. Zwar habe ich diese verhängnisvolle Zeit nicht selbst erlebt. Aber sollte es jemand nicht wissen: auf ZDF info kann man sich an Hand Original-Filmaufnahmen und Aussagen von Zeitzeugen einen Eindruck der Nazi-Zeit verschaffen.

Also totale Überwachung aller Lebensbereiche. Denn auch der Besitz von Bargeld ist bei Strafe verboten. Jede Ausgabe, egal ob Konzertkarten, Einkäufe im Baumarkt, der Kauf von Eisenbahnfahr¬karten, Taxi-Kosten, alles kann nur mit der Geldkarte bezahlt werden. So ist mittels der gespeicherten Daten natürlich alles jederzeit nachprüfbar. Wer war wann warum wo, wer hat wann mit wem über das tragbare Volkstelefon (heute Smartphone genannt) mit wem wann wie lange telefoniert. Und wo befanden sich die Gesprächspartner jeweils? Warum? Und so weiter.

Über das ‚Weltnetz‘ (so heisst das Internet in dem Roman) werden fremde Datennetze angezapft. Im Roman konkret in das Weltnetz in den USA. Zum einen, um die breite, von den Opfern des Ersten Weltkrieges kriegsmüde gewordene Bevölkerung propagandistisch weiter in ihrem pazifistischen Kurs zu bestärken. So soll der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg verhindert werden. Zum anderen wird das das Netz der University of California, Berkeley, angezapft. Dort arbeiten zahlreiche Wissenschaftler an der Entwicklung der ‚Atomspaltungsbombe‘.

An die Sprache und Begriffe, die Andreas Eschbach verwendet, gewöhnt man sich sehr schnell. Computer wird eben mit ‚K‘ geschrieben, also Komputer, ein Büro ist ein Bureau, ein Datensilo wird heute Server genannt, eine E-Mail ist im Roman schlicht ein Elektrobrief.

Was das Buch neben den erdachten Handlungen, neben der spannenden und realistischen Schilderung der fast unbegrenzten Möglichkeiten der IT so faszinierend macht, ist die akkurate Recherchearbeit des Autors.
In kurzen, auch für Nicht-IT-ler verständlichen Ansätzen beschreibt er die Funktionsweise von ‚SAS‘ (Strukturierte Abfrage Sprache). Nennt sich heutzutage übrigens ‚SQL‘, also ‚Structured Query Language‘. Wie realistisch, wie bedrohlich die Möglichkeiten der Digitalisierung der Welt mittlerweile geworden ist, wird sofort klar, wenn man an den freiwillig in die eigene Wohnung gestellten denkt: Amazons Alexa, Google Home, Apple HomePod, mitlauschende Smart-TVs, intelligente Stromzähler und was noch alles. Die faktischen Entwicklungen in der Volksrepublik China verdeutlichen alles noch mehr: z. B. Videokameras samt Gesichtserkennung an Fussgängerampeln. Wer bei Rot über die Strasse geht, bekommt auf seinem ‚Bürger-Konto‘ Negativ-Punkte eingetragen. Unter Umständen ist damit die Zulassung zum Studium verbaut. Sensoren in Kleidungsstücken, die unmerklich protokollieren, wann der Träger welche Körperteile mit welchem Kraftauswand an welchem Ort bewegt oder nicht bewegt hat. Smarte Armbanduhren, die permanent Puls, Blutdruck und Blutzuckerwerte des Trägers messen. Noch sind es nur die Krankenkassen, die ganz wild auf diese Daten sind…

Egal, welchen Ort der Autor beschreibt, sei es den damaligen Standort der Reichsbank in Weimar, den Ort einer Schlacht in Polen oder in Russland, welche Person der Autor erscheinen lässt, ob den Befehlshaber einer Heeresgruppe, die Geschwister Scholl und andere Mitglieder der Weißen Rose, die durch die von der Gestapo in Auftrag gegeben sprachliche Textanalyse des Sprachwissenschaftlers Richard Harder entdeckt wurden, die persönlichen Daten von Georg Elser (Attentatsversuch im Bürgerbräukeller anno 1939), die mit den vorliegenden Daten gegebene Möglichkeit, Anne Frank und ihre Familie in ihrem Versteck in Amsterdam ausfindig zu machen, das Schloss Oberweis, in dem das Heim „Alpenland“ der NS-Organisation Lebensborn untergebracht war, die Beschreibung von Hitlers Büro in der Neuen Reichskanzlei in Berlin – solche in den Roman eingearbeitete Informationen entsprechen weitestgehend der Realität. Wobei neben der Haupthandlung des Romans hin und wieder die literarische Freiheit zuschlägt. Walter Schellenberg, eine der auftretenden Nazi-Grössen, so ich mich recht an die Stelle im Buch erinnere, wurde nicht erschossen. Er starb sieben Jahre nach Kriegsende in Turin an Krebs.
Teilweise und dort wo es Sinn macht, arbeitet Andreas Eschbach sogar belegte, wortgetreue Zitate von Nazi-Mitgliedern der obersten Ebene ein.

Alles in Allem ein spannender Roman, der unter imaginärem Einsatz der bereits gegebenen und der zukünftigen technischen Möglichkeiten in die unheilvolle Vergangenheit blicken lässt.
Demnach zugleich hochaktuell ist.

Wie bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel so zielsicher, als bekannt wurde, dass der US-amerikanischen Geheimdienst NSA vermutlich auch ihr Handy abgehört und ausgespäht hat:
Ausspähen unter Freunden geht gar nicht.

Doch, es geht! Und zwar immer umfassender, immer perfider.

So gesehen ist es (k)ein Zufall, dass der Titel des Romans aus den drei Buchstaben ‚NSA‘ besteht. Oder doch?

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