Deutschland verdummt: Wie das Bildungssystem die Zukunft unserer Kinder verbaut; Michael Winterhoff; Gütersloher Verlagshaus | Deutschland verdummt: Wie das Bildungssystem die Zukunft unserer Kinder verbaut; Michael Winterhoff; Gütersloher Verlagshaus

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Der milliardenschwere ‚Digitalpakt‘ –> Schnellstrasse zur unreflektierten aber digitalen PowerPoint-Verblödung?

Mit viel Bohai umjubelt und über den grünen Klee gelobt, dieser ‚Digitale Bildungspakt‘, der mit den vom Bund bewilligten und den Ländern nach langer Diskussion akzeptierten fünf Milliarden Euro die Digitalisierung der Schulen vorantreiben soll.

Statt diese immense Summe den nicht gerade am Hungertuch knabbernden Hard- und Softwarefirmen, den ‚Systemhäusern‘ und ‚Beratungsfirmen‘ in den Rachen zu stopfen wäre es sehr viel vordringlicher, einen Grossteil des Betrages in die Ausbildung, in die Förderung von Pädagogen, also Lehrern/Lehrerinnen zu investieren. Die dann ihrer Ausbildung entsprechend die Kinder und Jugendlichen an Grund-, Haupt-, Realschulen und Gymnasien zu unterrichten wissen. Und zwar lehrerzentriert. Denn sie oder er ist im Unterricht die BezugsPERSON! Nicht umsonst wird ja auch nicht von einem BezugsTABLET, BezugsIPAD oder einem BezugsNOTEBOOK geredet.

Das, was die Kinder und Jugendlichen benötigen, beanspruchen, ist ein Mensch (Lehrer*In) als Ansprechpartner, als Orientierungshilfe für die sich entwickelnde soziale Kompetenz. Nicht etwa ein nach diversen PISA-Studien zusammengebastelter ‚Kompetenzkatalog‘ auf dem Papier.

Mir sind einige Paare bekannt, die ihren aktuell drei bis vier Jahre alten Nachwuchs nach dem laissez-faire-Prinzip gross werden lassen. Das Wort ‚Erziehung‘ fehlt hier mit voller Absicht. Denn mit dieser ‚Lass-sie-nur-machen‘-Aufzucht (auch hier fehlt ‚Erziehung‘ mit voller Absicht) ist für das spätere Verhalten der Kinder untereinander und im sozialen Gefüge der Gesellschaft mit dem für ein gutes Miteinanderauskommen notwendigem gegenseitigem Respekt, gegenseitiger Höflichkeit und auch Hilfsbereitschaft mehr als schädlich. Die gerade erwähnten Elternpaare haben mir gegenüber in der Tat voller Überzeugung geäussert: „Ich lasse ihn/sie einfach machen. Um die Erziehung soll sich dann der Kindergarten und später die Schule kümmern!“

Mein Vorschlag, sie sollen doch mal schlicht die Begriffe „Er-ziehung“ und „Emanzipation“ auseinander nehmen und schauen, wo diese Begriffe ihren Ursprung haben, schlug völlig fehl.

Schon die Erkenntnis, dass im Begriff Erziehung das Wort „ziehen“, also etwas oder jemanden zu einem wünschenswerten Ziel hinzubewegen, also zu ziehen, hat den Erkenntnishorizont dieser Kinderproduzenten gesprengt.

Dass der Begriff „Emanzipation“ seinen Ursprung im lateinischen „emancipare“ (jemanden aus der väterlichen Gewalt entlassen) hat, dass darin im Grunde auch „manus“ (Hand), „capere“ (fangen, festhalten) und durch das „e“ die Negation von „Festhalten“, im Grunde also frei und sinngemäss übersetzt „aus der Hand geben“ steckt, das war dann sowieso jenseits jeder Vorstellungskraft. Jede weitere Diskussionsgrundlage wäre spätestens dann hinfällig gewesen.

Denn die Einsicht, dass ich erst dann etwas oder jemanden aus der Hand geben kann, wenn ich es, sie oder ihn zuvor in der Hand hatte, im besten Sinne damit geführt, gestützt, geholfen, habe, damit es/sie/ihn ein wünschenswertes Ziel erreichen kann, eben durch dieses ‚ziehen‘, das ist dann absolut unverständlich für diese Kinderproduzenten.

Michael Winterhoff nimmt die Katastrophe der Neu-Deutschen Bildungspolitik sehr genau unter die Lupe.
Dieser ganze Schwachsinn von ‚autonomen Lernen‘, ‚Lerntheken‘, aus denen sich die Zöglinge (hat schon jemand gemerkt, da steckt im Ursprung wieder der Begriff ‚ziehen‘ drin) nach Lust und Laune die Wissenhäppchen raus ziehen können, nach denen ihnen gerade der Sinn steht, Lehrer als ‚Lernberater‘, von den Schülern nach Lust und Laune individuell zusammengesetzte ‚Lerninseln‘ und was noch alles an Irrsinn, genau unter die Lupe. Der Autor verargumentiert seine Ansichten nachvollziehbar und stichhaltig.

Dazu auch noch in einem treffenden, humorvollen bis ironischen Stil.

Beispiel von Seite 161:

„Wenn ein Kindergarten oder eine Schule damit wirbt, dass »offen und frei« gespielt beziehungsweise gelernt wird, dann ist das kein Qualitätsmerkmal, sondern ganz im Gegenteil ein guter Grund, einen weiten Bogen um diese Institution zu machen. Auch so manche technische Ausstattung sollte das elterliche Auge nicht blenden. Ob in den Klassenzimmern zum Beispiel sogenannte interaktive Whiteboards  (IWB, je nach Anbieter auch Smartboard oder ActiveBoard genannt) hängen, sagt nichts über die Qualität des Unterrichts aus. … Aber abgesehen davon, dass die Anschaffungskosten pro Stück im mittlere vierstelligen Bereich liegen und neben hohen Energiekosten auch noch Sondermüll produziert wird, droht aus einem – im besten Fall – lebendigen Unterricht eine vorgefertigte Präsentation zu werden. Diejenigen Leser, die sich in zahllosen Meetings durch PowerPoint-Vorträge quälen mussten, wissen, wovon ich rede.“

Seite 162: „Für Whiteboard-Hersteller und Schulbuchverlage, die die entsprechenden digitalen Angebote entwickeln, sind die Whiteboards ein glänzendes Geschäft, für die Schulen eine dauernde Belastung. Die horrenden Geldsummen, die hier ausgegeben werden, fehlen schmerzhaft n anderen Stellen.“

Fazit: Michael Winterhoff bringt mittels zahlreicher Fakten die einzig richtige Lösung der Bildungsmisere zu Papier: gute, motivierte, gut ausgebildete, kompetente, gut bezahlte Lehrer, die Spass an ihrer gesellschaftlich eminent wichtigen Aufgabe haben, in die Klassenzimmer und auch VOR die Klasse. Sie sind die BezugsPERSONEN für die Zöglinge, nicht das Tablet, nicht das WhiteBoard oder sonstige Elektronikspielereien!

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